Was fuer eine Woche!
Unser Flieger hob am vergangenen Sonntag um 8:40 Uhr in Hanoi ab - oder zumindest sollte er. Der Tag fing damit an, dass wir im Flieger sassen und nichts passierte. Das vietnamesische Boardpersonal teilte wahllos einigen Passagieren mit, was vor sich ging, aber generell hingen alle in der Luft. Na ja, oder eben nicht.
Nach einiger Zeit erfolgte eine Durchsage und von dem britischen Piloten erfuhren wir, dass irgendein technisches Problem vorlaege und sie einen Ingenieur suchen, der den Fehler beheben koenne. Es sollten alle aussteigen und in einer halben Stunde wiederkommen, dann seien wir startbereit. Der Fehler koenne immer und ueberall passieren und das solle Jetstar (eine vietnamesische Billigairline) nicht in schlechtes Licht ruecken. Keiner bewegte sich, denn da die Durchsage in englisch war hat ausser den vielleicht fuenf westlichen Passagieren niemand etwas verstanden.
Irgendwann startete der Flieger dann jedenfalls und mit gerade einmal 90 Minuten Verspaetung kamen wir in Ho Chi Minh City an. Wir pickten unsere Rucksaecke vom Gepaeckband und steuerten froehlich dem Ausgang entgegen. Was mit Tom in Yangon so gut funktioniert hatte schien nun zur Farce zu werden. Wir suchten auf saemtlichen Terminals und nach einer Stunde gaben wir auf. Sollte jemand da sein, um uns abzuholen, sollte uns die Person schoen laengst gefunden haben. Immerhin waren seit der geplanten Ankunft nun zweieinhalb Stunden vergangen. Wir versuchten das Buero von The Green Lion in Thailand zu erreichen, was an einem Sonntag aber schwer ist und auch Tom hoerte nicht, als wir ihn zu kontaktieren versuchten. Es blieb uns nichts anderes uebrig als ein Taxi zu nehmen und in die Stadt zu fahren. Doch waehrend der Fahrt begann es wie wild zu regnen und es sah so aus, als wuerde es auch nicht mehr so schnell aufhoeren. Mit den riesen Rucksaecken in einem Cafe zu sitzen und zu warten, wer weiss wie lange, und uns nicht durch den prasselnden Niederschlag bewegen zu koennen, schien uns nicht besonders sinnvoll. Also blieb uns als einzige Moeglichkeit uns in ein Hotel einzuquartieren. Wir wussten ja auch nicht, wie schnell sich unsere Lage aendern wuerde.
Wir fanden ein nettes Hotel mit einem ertragbaren Preis. Sie liessen uns ihren Computer benutzen, um Tom und The Green Lion zu schreiben und dann gingen wir erst einmal etwas essen. Immerhin war es inzwischen frueher Nachmittag und wir waren schon wieder seit halb sechs auf den Beinen.
Als wir gegen vier zurueck kamen hatten wir eine Nachricht von Tom: Wir sollten Brian anrufen. Zurueck auf dem Zimmer taten wir das dann und Brian entpuppte sich als der zustaendige Mensch fuer The Green Lion Vietnam. Er teilte uns mit, dass er nichts von unserer Ankunft wusste und er uns sieben Uhr abholen wuerde. Ein grandioser Start in drei Wochen Ho Chi Minh! (Tage spaeter stellte sich heraus, dass die Mail von Tom in seinem Spamordner landete und er es daher nicht wusste. Aber Tom haette auch auf eine Reaktion von Brian warten koennen, bevor er uns mitteilt, dass alles geklaert sei, oder?)
Natuerlich mussten wir fuer die fuenf Stunden, die wir in dem Hotel waren, den vollen Preis bezahlen und haben erneut unnoetig Geld verloren.
Mit Brian fuhren wir zum Saigontourist Hospitality College. Es handelt sich um eine sehr kleine Universitaet, in welcher man sich beispielsweise zum Koch oder Restaurantmanager ausbilden lassen kann. In der dritten Etage befinden sich eine handvoll Schlafsaaele, getrennt nach Geschlechtern und wir wurden in einem Zimmer von vier Maedchen willkommen gehiessen.
Insgesamt besteht unsere Gruppe aus etwa 20 Voluntaeren. Es gibt vier Projekte (das Kinderheim, ein Heim fuer geistig und koerperlich beeintraechtigte Kinder, ein Medizinprojekt und den Englischunterricht hier am College) auf die wir aufgeteilt sind. Dieser Zusammenschluss besteht wohl aber auch erst seit etwa sechs Wochen und ich denke, dass es daran liegt, dass Tom uns mitgeteilt hat, dass es keine Einfuehrungswoche gaebe. Das naemlich ist der Grund dafuer, warum wir erst am Sonntag anreisten. Die anderen hingegen, die mit uns starten, sind schon seit Freitag da, denn am Samstag begann eine Einfuehrungswoche. Und wir haben zwei volle Tage verpasst, in denen sie beispielsweise in die Oper gingen und alte Kriegstunnel erkundeten. Das finde ich schon sehr aergerlich.
Montag sollte ein kulinarischer Tag werden. Am Morgen wurden wir in zwei Gruppen aufgeteilt und die Gruppe, in der Valentina und ich waren, hat gebacken. Wir schauten dabei zu, wie die Studenten hier Mousse au chocolat und Marmorkuchen buken (Witze machend, dass das etwas total typisches fuer Vietnam sei und wir es vorher noch nie sahen), um beides anschliessend selbst herzustellen. Und natuerlich mussten wir es dann auch verputzen. Ein durchaus netter Start in eine Woche.
Danach stand fuer uns alle zusammen das Schnitzen von Obst und Gemuese auf dem Programm. Erst sollten wir aus einem Teil einer Moehre eine Rose fertigen, doch schnell hat der etwas entnervte Lehrer festgestellt, dass wir das nicht wirklich hinbekommen und uns eine einfachere Aufgabe gegeben.
Zum Schluss sollten wir eine Rose in einen Kuerbis schnitzen, doch auch das klappe eher maessig. Ich habe mich gar nicht lang damit befasst, sondern einfach Kreise in meinen Kuerbis geschnitzt und als der Lehrer mich zum fuenften Mal ausgelacht hat, hat er meine Kreise als Inspiration fuer ein Gehirn genommen und ein grusliges Gesicht hinzugefuegt. Ich fand es sowieso spannender ihn einfach zu beobachten.
In den folgenden Tag starteten wir mit einem Sprachkurs. Vietnamesisch ist eine Mischung aus chinesisch und franzoesisch, finde ich. Ich kann ein paar Sachen sagen (die ich mir schon vorher aus dem Reisefuehrer rausgesucht habe), aber ansonsten werde ich das wahrscheinlich einfach weiter wie in Myanmar machen und dem Taxifahrer eine Adresse auf einem Blatt Papier vor die Nase halten. Wobei ich sagen muss, dass die Menschen in Myanmar wesentlich besser englisch sprachen als die Menschen hier. Das war im Norden noch schwerer, aber ich finde es dennoch bemerkenswert. Und ich meine, fuer uns ist es immerhin auch nicht super einfach, denn in unserer Gruppe befinden sich neben zwei chinesischen und einem vietnamesischen Maedchen nur englische Muttersprachler.
Nach dem Mittagessen ging es zum Museum fuer Kriegsverbrechen. Es erlaubt einen tiefen Einblick in die blutige Vergangenheit Vietnams. Den groessten Teil nimmt der amerikanische Krieg ein und was er fuer furchtbare Spuren hinterliess und noch immer hinterlaesst. Bilder von mutierten Koerperteilen, entstellten Kindern, gefolterten und verstuemmelten Menschen und zahlreichen anderen Grausamkeiten haben mir die Traenen in die Augen getrieben.
Am Bến Thành Markt machten wir eine Pause. Aber ich habe in den letzten Wochen schon so viele Maerkte gesehen, dass mich dieser irgendwie doch relativ kalt liess. Es gab Essen, Kleidung, Kaffee ohne Ende, einen riesen Essbereich und sicher zahlreiches anderes. Aber irgendwie aehnelt sich doch alles sehr.
Am Ende des Tages stand uns noch eine Ueberraschung bevor, wobei Anna, unsere Koordinatorin, nicht besonders gut darin war, das Geheimnis lange geheim zu halten: Wir gingen zum Wasserpuppentheater. Das wollte ich schon in Hanoi sehen, habe es aber nicht geschafft. Das Wasserpuppentheater ist eine vietnamesische Kunstform und fester Bestandteil des kulturellen Lebens. Die Vorstellung geht meist nur etwa eine Stunde und man kann der Handlung relativ einfach folgen, weil mit Musik unterlegte Szenen vorrangig aus dem alltaeglichen Leben und die heiligen Tiere wie beispielsweise Feuer (Wasser) spuckende Drachen gezeigt werden. Mit allem diesem Wissen und meiner Vorfreude waren meine Erwartungen natuerlich so hoch, dass sie nicht getroffen werden konnten. Es war okay, aber ich bin ganz froh, dass ich keinen Eintritt zahlen musste.
Mittwoch sollte dann der Tag sein, an dem wir das erste Mal arbeiten wuerden. Brian zeigte uns und den anderen die Wege zu den jeweiligen Projekten und gegen Mittag waren wir im Kinderheim. Und ich war schockiert. Es handelt sich um ein gemischtes Heim mit Kindern von 1 bis 16. Es scheint, als wuerden die Kinder ihr Beduerfnis nach Liebe damit ausgleichen, dass sie sich gegenseitig scheinbar grundlos und ununterbrochen pruegeln. Egal welches Alter, alle sind uebersaeht mit Wunden und blauen Flecken. Und wie sollten sie es auch anders kennen, denn selbst die Frauen, die dort arbeiten, treten und hauen die Kinder. Vielleicht ist es ein kulturelles Ding, denn auch in Myanmar werden die Kinder geschlagen, um ihnen Respekt beizubringen und ich kenne das einfach nicht. Aber irgendwie finde ich auch, dass das eine lahme Ausrede ist und ich kann das einfach nicht vertreten. Dort im Kinderheim zu stehen erfuellte mich mit einer unendlichen Traurigkeit. Es war laut und brutal und der Geruch war kaum auszuhalten.
Wir waren an dem Nachmittag da, um ein bisschen mit den Kindern zu spielen. Sobald ich am Boden sass, kam eine Handvoll von ihnen zu mir, um sich auf mich zu schmeissen und zu kuscheln. Doch auch das wurde mir persoenlich schnell zu viel. Es fiel mir sehr schwer, die Extreme zwischen dem Naehebeduerfnis und der Aggressivitaet zu haendeln.
Die halbe Stunde, die wir im Bus auf dem Weg zurueck zum College sassen, brauchte ich, um irgendwie etwas herunterzukommen. Ein halber Tag und ich fuehlte mich, als sei mir meine Energie ausgesaugt wurden.
Am folgenden Donnerstag sollten wir das erste Mal den kompletten Tag im Heim verbringen. Zu dritt machten wir uns am Morgen auf den Weg. Die vier Maedchen, die bereichts da freiwillig arbeiteten, waren an dem Tag nicht da und der Gedanke, dass wir drei als Neuankoemmlinge da auf uns gestellt sein wuerden, aengstige mich ein bisschen. Aber Augen auf und durch.
Am Morgen sollten wir englisch unterrichten. Da Valentina und ich darin nun schon einige Uebung hatten, freute ich mich darauf und ich finde auch, dass wir das sehr gut gemacht haben. Doch von zehn bis elf sassen wir wieder im unteren Bereich mit den ganzen Kindern, die voellig ausser Kontrolle sind. Wir haben im Prinzip zwei Sachen getan: Wir haben entweder den Kindern (und dabei macht es keinen Unterschied ob Junge oder Maedchen) gesagt, dass sie nicht schlagen, beissen, kratzen sollen oder wir haben die getroestet, die geweint haben, weil sie geschlagen, gebissen, gekratzt wurden waren. Ich war heilfroh, als dann Essenszeit war. Valentina und ich halfen die Kleinsten zu fuettern und dann war endlich Pause.
Von den anderen Voluntaeren wussten wir, dass auf der gegenueberliegenden Strassenseite ein nettes Cafe ist, in dem man die Pause verbringen kann, denn abgesehen davon war es eine Gegend, in der man absolut nichts holen konnte. Es gab neben Motorradersatzteillaeden nichts. Eine sehr arme Gegend ist das. Also sassen wir da, um etwas herunterzukommen. Doch die Ruhe sollte nur anhalten, bis der anderen Voluntaerin ploetzlich ihr iPhone aus der Hand gerissen wurde. Alles geschah ganz schnell und ploetzlich. Niemand sah wirklich etwas. Sie versuchte es krampfhaft festzuhalten, doch vergeblich. Sie rannte dem Typen hinterher, aber nach einigen Metern sprang dieser auf ein Motorrad auf und verschwand. Wir gehen davon aus, dass das ein geplanter Angriff war. Der Dieb hat mit Sicherheit die anderen Maedchen beobachtet, die jeden Tag in dem Cafe mit ihren Telefonen zur gleichen Uhrzeit sitzen und gewusst, wann er seine Chance ergreifen kann. Und sie tat mir so unendlich Leid: Das erste Mal alleine auf Reisen und dann passiert so etwas, gleich ganz am Anfang. Unsere Koordinatorin war zufaellig auch da, weil sie gern Zeit im Kinderheim verbringt, und gemeinsam mit ihr fuhren wir dann zur Polizeistation. Aber was nuetzt schon eine Anzeige gegen Unbekannt. In Deutschland wird es schon nahezu unmoeglich sein, das Telefon wiederzubekommen, aber hier? Oh man.
Nach dem Schock fuhren wir zurueck zum College und hatten den Rest des Tages frei. Und unabhaengig von der Handygeschichte sprachen Valentina und ich mit Brian ueber die Moeglichkeit das Projekt zu wechseln. Sie wollte ganz klar eher in das Medizinprojekt und mich machte das Kinderheim einfach fertig. Es ist ein Zwiespalt: Einerseits will ich da sein und helfen und den Kindern zeigen, dass jemand fuer sie da ist. Aber ich habe nicht das Gefuehl, dass meine Anwesenheit einen Unterschied macht. Die Struktur muesste von Grund auf geaendert werden und ich kann kaum den 50 jaehrigen Frauen, die eh nur wenig Englisch verstehen, zu verstehen geben, dass ihre Erziehung verdammt nochmal falsch ist und die Kinder nichts lernen, wenn sie selbst schon respektlos und von oben herab behandelt werden. Aber ich will sie auch nicht im Stich lassen. Gleichzeitig habe ich von anderen gehoert, die Englischunterricht hier im College geben, dass es Spass macht und es ein toller kultureller Austausch ist. Ich habe das Gefuehl, dass mir das wesentlich mehr bringen wuerde. Weil, klar, ich bin hier um freiwillig zu arbeiten. Aber ich moechte auch etwas davon haben und nicht jeden Tag mit einem schlechten Gefuehl angehen und ausklingen lassen. Ich werde wohl das Schicksal entscheiden lassen, ob ich den Wechsel machen kann oder nicht. Valentina jedenfalls hat eine positive Antwort erhalten und kann am Montag in der Klinik anfangen.
Fuer uns beide war der Freitag ein wesentlich angenehmerer Tag. Das Maedchen, dem das Telefon gestohlen wurde, bekam zwar frei, aber zwei der alten Voluntaere fuhren mit uns gemeinsam zum Heim. Und die Kinder waren ruhig. Der Englischunterricht verlief angenehm und danach sassen wir mit den Kindern ganz ruhig da. Sie schauten fern und lagen auf uns und kuschelten. Wobei ich sagen muss, dass ich es auch nicht besonders gut finde, zu sehen, dass das einzige, was sie davon abhaelt, sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen, der flimmernde Fernseher ist. Das deprimiert mich alles sehr.
Besonders beeindruckt hat mich, dass der zehnjaehrige Junge, den ich am Vortag als einen der schlimmsten erlebt habe, ganz ruhig mit seinem Kopf auf meinen Beinen schlief. Sie wollen alle nur Liebe und Zuwendung, aber das immerzu im Hinterkopf zu behalten finde ich sehr schwer.
Nach der Mittagspause sassen wir mit einigen da und haben gemalt, was auch sehr angenehm war. Andererseits weiss ich auch nicht, wie es in dem anderen Zimmer vor sich ging, wo sich der Grossteil der Kinder aufhielt. Sie koennten sich da ebensogut die Koepfe eingeschlagen haben.
Heute Morgen ist der Grossteil der Meute zum Mekong Delta gefahren. Valentina und ich wollten urspruenglich mitkommen, aber es war dann doch etwas stressig und auch fuer einen Tagesausflug zu weit. Vielleicht machen wir das dann am kommenden Wochenende. Jedenfalls sind wir in unserem Zimmer jetzt nur noch zu dritt (ein Maedchen konnte nicht mit, weil sie erkaeltet ist. Auch Valentina und mich hat es schon wieder getroffen - Klimaanlage sei Dank) und es ist auch schoen ein ruhiges Wochenende vor uns zu haben, nachdem wir die letzten Wochen so viel auf Achse waren.
Achso, und ich sollte noch erwaehnen, dass wir hier jetzt voll in der Regenzeit angekommen sind. Nahezu jeden Tag plaeddert es herunter, dann meist fuer mehrere Stunden. Heiss ist es trotzdem.
// ling